Mittwoch, 27. Juni 2007

Weisheit per Wildschwein

Liebe Zeit,

also... Du läufst mir davon und ich finde wir sollten darüber reden.

Ich muss gestehen, dass ich mit Deinem Verhalten nicht wirklich einverstanden bin. Du marschierst vor mir her, wie ein Jungstar aus einer angesagten Popband und ich wie ein Teenie hinterher. Wildes Haar, der Hals heisser vom Kreischen, unansehnlich und mit roten Wangen, weil hinterherhetzen Schweiß macht. Ich rieche aber nicht. Deo sein Dank. Das hab ich doch noch im Griff.
Wenn ich Dich einhole, Dich an der Hand habe, gleitest Du mir durch die Finger. Da muss ich dann immer an so schlapprigen Käse denken, der einen durchgeknallten
Maler mal zu Uhrzeugs inspirierte. Ich mag keinen Käse. Noch nie.
Ich mag den Zustand nicht, der zwischen uns herrscht. Du rinnst mir davon. Ich hab Dich nicht mehr im Griff.
Ich weiß schon, daß das nicht Deine Absicht ist. Du meinst es gut, packst mir jeden Tag mit grossen Ereignissen voll, die auch gelingen und Freude bereiten und Stolz machen. Aber große Dinge machen auch irgendwann müde. Und das letzte Stück, das es auf die Bühne zu stemmen galt war ein richtig schwerer Brocken. Da hab ich mir wohl eine Bandscheibe verrenkt, bildlich gesprochen. Jetzt krabbel ich so ein bißchen auf Reservebatterie durch die Gegend und tausend Dinge wären noch zu tun.
Meine gute Zeit und genau über dieses Timing müssen wir uns unterhalten. Das geht nämlich so nicht mehr. Nicht mehr auf Dauer. Weil nämlich, die Zeit vergeht (kicherkicher) ich ein weiteres Jahr von Dir auf den Buckel geklatscht bekommen habe an Alter und das Alter macht die Perspektive anders.

Schnitt.

Wir sehen das Alter in einem Schaukelstuhl schaukeln, Decke über den Knien, Schultertuch aus Wolle über den Schultern, Kopf nickend.

Schnitt.

Weißt Du, liebe Zeit, daß ist nicht mehr so wie früher, als ich ein Frischling war. Die Welt offen und groß, weil ich so klein. Die strammen Beinchen voller Energie, der unbezahnte Frischlingsrüssel hoch in der Luft und alles alles neu.

Als Frischling rennst du los, kein Morgen in Sicht. Die Neugier treibt dich von unbekanntem Ufer zu unbekanntem Ufer und du läßt nichts anbrennen. Am allerwenigsten dich selbst, weil als Wildschweinbraten enden wäre einfach noch zu früh. Dein Pelzkleid, das du als Frischling trägst, drückt aus, was du fühlst: Das Leben ist Formel Eins und du gehörst mit deinen jugendlichen Ralleystreifen dazu. Es macht auch nichts, nicht so viel, wenn du dir deinen rosa Frischlingsrüssel blutig haust. Ist ja noch jung, heilt schnell. Heilt es wirklich?
Du wirst widerstandsfähiger. Zähne beginnen zu wachsen. Hauer. Groß, stark, weiß. Du wechselst vom geschützen Unterholz ins Wildschweingehege und es beginnt härter zu werden. Du mußt deine neuen Zähne ausprobieren. Du mußt. Und du mußt aufpassen, daß sie nicht gleich zu Bruch gehen. Gibt nur das eine Paar Hauer. Die Ralleystreifen auf deinem Fell verblassen und irgendwie bremst das die Geschwindigkeit, bringt Abstand zwischen dich und die Dinge. Du beobachtest, überlegst und setzt deine Hauer gezielter ein. Wenn die Streifen endgültig weg sind und deine Zähne ausgewachsen, ist es auch Zeit das Wildschweingehege zu verlassen. Jetzt ist das Leben dran. Jetzt ist es Zeit für die freie Wildbahn. Und da zeigt sich dann, ob du deine Hauer immer pfleglich behandelt hast und sie stark sind und weiß oder voll Karies und faul und auszufallen drohen. Die besseren Chancen haben einfach immer die mit den weißen Hauern.
Nicht das man blessierte Hauer nicht reparieren könnte... Es ist aber einfach nicht dasselbe. Ersatz und geflicktes ersetzen niemals das Orginal.

Irgendwann werden die Zähne dann aber doch dunkler. Sie welken ins gelbe. Dein Pelz beginnt sich wieder zu verfärben. Du blühst noch einmal in einem silbrigen Grau auf um dann farblos, weiß, zu werden. Und weiser. Und immer weiser. Wenn Du Pech hast wird aus der Weisheit Demenz.
Die freie Wildbahn ist nichts mehr für dich. Alles geht zu schnell. Du passt nicht mehr richtig dazu. Farblich. Vom Ralleystreifen zum Seitenstreifen. Zurück ins Unterholz. Ausruhen. Ruhe. Aus.

Und jetzt Kritik an Dir, Zeit. Deine Uhren ticken anders. Das Stundenglas wurde durch die Stoppuhr ersetzt. Alles geht so schnell. Zumindest mir geht es zu schnell. Und zu durcheinander. Frischlinge in freier Wildbahn. Hauerträger auf dem Seitenstreifen. Verwirrung im Unterholz. Usw. usw. usw.

Das macht meine Liebe kaputt und das wollen wir doch nicht. Ich möchte unsere Beziehung retten. Ein neues Zeitgeschehen. Gemütlich mit Dir couchen. Am Strand sitzen. Kaffee trinken und nachdenken. Ohne Stoppuhr. Mit Stundenglas. Ich glaube, dann haben wir eine echte Chance. Weil: Zähne wachsen langsam. Aber lang. Ein Leben.

Es küsst Dich,

Deine JellyBean

Donnerstag, 7. Juni 2007

Vom Ende der Nabelschnur



Liebe Heimat,




daheim, vor 20 Jahren und auch mehr, lief auf einem öffentlich rechtlichen Fernsehkanal die allerallererste Folge einer Vorabendserie, deren Ende auch heute noch nicht ab zu sehen ist.


Na, fällt der Groschen?


Wie ich höre, klappert im Badezimmer gerade die Waage. Das Rätsel steht drauf rum, hochrote Wangen und die Befürchtung zu schwer zu sein... nö, oder?


Na ja, sei's drum.


Die Mutter, das Herzstück, dieser Vorabendserie hat bis zum heutigen Tag Spuren in meinem Seelenleben hinterlassen. Eine Mutter war das, wie ich bis dato noch keine Mutter kennengelernt hatte. Eine Ausgeburt an Güte und Verständnis. Nicht das meine eigene Mutter jetzt Feuer gespuckt hätte... Nein, aber die Vorabendserienmutter, die war ein Knaller. Eine Mutter, die Schweinebraten im Rohr hatte und Knödel mit der Hand rollte. Eine Mutter mit Schürze und rosa Bäckchen und einer großlockigen Dauerwelle vom Friseur um die Ecke.


Meine Mutter war nicht so. Bei weitem nicht. Und sein wird sie das auch nie. Dafür ist sie irgendwie... zu frisch? Meine Mutter kann gut kochen. Sehr gut sogar. Wenn sie will. Aber einen Schweinebraten... Den hat es bei uns nie gegeben. Meine Mutter ist keine Schweinebratenmutter. Überhaupt fehlt ihr bis heute der nötige Körperumfang, vor allem im Brustbereich, um eine Blümchenschürze anständig zu füllen. Nun gut.


Aber das Ding mit der Schweinebratenmutter... da wirkte irgendetwas in mir.


Wenn ich mit meiner Mutter zoffte, auch heute noch, ist mein allerletztes Argument: "Und überhaupt, du hast nie einen Schweinebraten gemacht!"


Meine Frage: Bist Du das? Ist Schweinebraten das Symbol schlechthin für Heimat? Für Geborgenheit? Für Familie? Der Knödel die Rückkehr zur Mutterbrust?


Wann gibt es denn einen Schweinebraten? Am Sonntag = Familientag. An Feiertagen = sollten Familientage sein. Blöd jetzt, wenn man der Heimat fern und so.


Ich glaube: Ja. Heimat ist Schweinebraten und Schweinebraten Heimat. Wobei es jetzt nicht darauf ankommt, ob man den Schweinebraten gerne isst. Auf den Symbolcharakter kommt es an.


An Feiertagen ist dann manchmal die Sehnsucht da. Ganz plötzlich joggt sie neben einem, grad dann wenn man an einem Biergarten vorbeirennt und es riecht so gut... nach Schweinebraten. Da möcht' ich dann in der Heimat sein, daheim. Das Stückchen Ackerscholle im Herzen verlangt danach und ich wünsch' mir meine Mutter her, auch wenn ich schon groß bin. Egal. Dann denk' ich an meine Mutter und weiß, der nächste Besuch in der Heimat verläuft wieder ohne Schweinebraten. Dafür werd' ich aber mit einem sensationellen Nudelauflauf gefüttert. Ein Glück, weil ich kann ja nicht kochen. Und der Nudelauflauf meiner Mutter ist eh der Beste.


Was auch gut ist, daß wir ja in so modernen Zeiten leben. Das ist fein. Da hab ich nämlich vor kurzem ein bisschen Schweinebratenmutter abbekommen und wurde zum Schweinebraten mit Knödel (die selbstgedrehten) eingeladen. Eine Freundin von mir war so großzügig etwas Mutter herzuleihen. Toll und eine dickes Danke nochmal dafür.
Ich möchte noch hinzufügen: Obschon diese Leihmutter einen Schweinebraten herstellte... sie sieht auch nicht so aus, wie die Schweinebratenvorabendserienmutter. Ganz und gar nicht.


Auf den Schweinebratenteller mit Knödel drauf schien die Sonne und die Stühle auf der Terrasse waren sehr bequem. Das Stückchen Ackerscholle freute sich.


Tja Heimat, Du siehst, ich kann nicht von Dir lassen, denn:




Wo meine Sonne scheint,
und wo meine Sterne steh'n,
da kann man der Hoffnung Glanz
und der Freiheit Licht
in der Ferne sehn.




Alles Liebe,




Deine JellyBean