Samstag, 12. September 2009

Beschirmtes Herz


Liebe Operation,

selbstverständlich bist Du blutig abgelaufen. Nichts anderes stand auf meiner Liste an Erwartungen. Was soll ich denn sonst denken? Es ist ganz einfach eine logische Schlußfolgerung. Du findest statt in Räumen, die durch Hochsicherheitstüren abgeriegelt sind. Wächter stehen davor und erschießen ohne jede Vorwarnung eindringliche Bakterien und Viren. Die Räume sind schmucklose Säle. Nichts an fantasievoller Tapete, überteuertem Gemälde findet sich an den Wänden. Nicht einmal ein Mondkalender. Was eventuell sinnvoll wäre. Ah, heute haben wir den Mond im Krebs stehen, das ist doch ein hervorragender Tag für eine kleine Blinddarmoperation. Auch die Kleidung der Operateure und deren Gehilfen entbehrt jeden Desings. Wobei ja Grün wieder schwer im kommen ist. Auch das temporär verwendete Blau, das die unförmigen Kittel einfärbt wirkt angenehm und unaufdringlich. Aber modisch muß ja nicht, nur zweckmäßig. Nicht das einer zu kotzen anfängt, beim Anblick blutverschmierter Verhüllter, die da stehen mit Geschirr in den Händen. Weiß wäre da sehr unvorteilhaft. Schlachthausassoziationen. Blau und Grün wandelt den Lebenssaft in unspektakuläres Braun. Ein Vergleich mit undichtem Darm liegt nahe. Doch nun wieder zu Dir. Du bist also geglückt. Da waren wir alle froh. Du, am Herzen stattfindent bist ja kein Zuckerschlecken. Ich wurde von der jungen Frau informiert, daß Du nötig bist. Große Aufregung vorher. Untersuchungen. Sorgen. Die Diagnose ein sich vergrößerndes Loch mitten im Herz. Was soll ich dazu sagen? Da die junge Frau zum Zeitpunkt der Diagnose unter diversen Formen von Beziehungsunannehmlichkeiten litt, eröffnete ich wieder mein für mich persönlich beliebtes Spiel Symbolmemorie. Bildkarte eins: Loch im Herz, hm, wo ist Bildkarte zwei? Ah ha, ein kleiner fetter Engel, zierlichen Bogen in der Hand, Füßchen abgestemmt am Herzen, die andere Hand zieht mit großer Anstrengung einen sinnlos verschossenen Pfeil aus dem selbigen. Liebe Menschlein, wie soll es anders zu Löchern im Herzen kommen? So, also zur Vorbereitung auf Dich wurde die junge Frau von der Chemie präpariert. Nicht das das Herz vor Aufregung kollabiert und man sich den Spaß mit Dir dann sowieso abschminken kann. Sie nannte es "Leck-mich-am-Arsch-Pillen". Das Hirn bekommt dabei scheinbar einen Knock-Out-Haken, aber der Leib lebt noch und es ist ihm möglich sich zu bewegen. Sie wurde in den Saal geführt, der nicht wohltemperiert war. Kacheln an Boden und Wänden. Das putzt sich leichter. Die sehr moderne Ausstattung beinhaltete einen sehr großen Bildschirm, auf dem sich Dein Vorgang im Inneren verfolgen ließ. Die Operateure waren in Montur, die Gehilfen ebenso. In der Ecke machte sich ein kleiner Borkenkäfer bereit. Er sollte den Hauptteil Deiner verantworten. Nach ein paar lockernden und aufwärmenden Kniebeugen bestieg der Borkenkäfer einen reizenden Schwimmanzug und überprüfte die Geräte, die ihm bei der Beatmung behilflich sein sollten. Eine winzig kleine Maske aus Glas beschirmte breits seine Augen. Die junge Frau wurde auf ein metallenes Bett gelegt. Gleichgültig ließ sie sich die Leiste aufschlitzen. Der Schmerz blieb dank Chemie aus, aber ein Interesse stellte sich ein. Sie beobachtete den Bildschirm. Der Borkenkäfer hub an und sprang in den Leistenschlitz. Im Gepäck einen langen Schlauch mit Kamera und einem Schirm. Kein Regenschirm, der wäre zu groß gewesen. Selbst ein Knirps. Eher ein Eisschirmchen, wie man sie auf bestückten Bechern im Sommer findet. Ziel war es den Schirm zum Herzen zu transportieren, durch das Loch von innen nach außen zu stecken, aufzuspannen. Dann sollte Gras über die ganze Lochgeschichte wachsen. Nein. Quatsch. Gewebe. So ein bißchen wie Fahrrad flicken. Der Borkenkäfer im Schwimmanzug wählte den Weg über eine Hauptschlagader, die vom Herzen in die Beine führt und zurück. Eine Blutautobahn. Er schwamm mit der Strömung. Kreisläufig. Die junge Frau beobachtete unterdes gespannt den Vorgang. Ein Bewegungsdrang stellte sich ein und sie wollte herumspazieren, was die Operateure aber untersagten. Ist ja auch nicht ungefährlich. Ich möchte kurz einwerfen, das ich vermute, daß Operateure in ihrer Karriere gescheiterte Eiskunstläufer sind. Wie sonst könnten sie sich bewegen auf gekacheltem Boden mit Gummischuhen an den Füssen und auf dem Boden ist oft Flüssigkeit? Als der Schirm sein Ziel erreichte gab es ein großes Hallo. Und eine Überraschung. Der Schirm passte nicht ins Loch. Vermessen hatten sie sich. Vermessen! Das Loch zu klein. Du warst gar nicht nötig. Kommando zurück. Der Borkenkäfer fand den Ausstieg, lieferte die Gerätschaft ab. Wohlbehalten. Ging duschen. Die junge Frau wurde zugenäht. Die Chemie im Blut ausgeschlafen. Warum das Loch plötzlich doch klein war? Hatten sich die Studierten vermessen? Lag es an der Freundlichkeit der umgebenden Menschlein ? Hatte die junge Frau eine Wunderheilung ereilt? Sie lebt und ich sehe sie oft und sie ist mopsfidel. Wir wissen es nicht. Tatsache ist, daß ein Herz wohl doch die Fähigkeit zur Heilung hat. Löchern und Brüchen trotzend.

Get well soon,

Deine JellyBean