Mittwoch, 6. Oktober 2010

Vom Wesen der Mauer


Lieber Wunsch,

es war einmal, da fragte mich eine Freundin, ob ich das Geheimnis der Wünsche kenne. "Klar", sagte ich und grinste wissend. Mir war kurz zuvor ein Wunsch erfüllt worden. Ein großer. Er war mir sozusagen direkt in die Arme gelaufen. Es war einmal, da erfüllte sich ein kleiner Wunsch. Ein Wünschchen sozusagen. Da fragte mich eine Freundin, "Wie hast du das gemacht?" Und ich fragte sie, ob sie das Geheimnis der Wünsche kennt? "Klar", sagte sie und fügte an, "manchmal funktioniert es und manchmal nicht." Manchmal nicht. Und da liegt der Hund im Pfeffer und der Hase begraben oder vielleicht ist es auch ganz anders. Umgekehrt? Lieber Wunsch, es geht um Dich. In Deiner ganzen Größe. Groß bist Du. Größer, stärker, als alle Wünsche zuvor. Und Du erfüllst Dich nicht. Nicht richtig. Halb, ein Viertel, ein Achtel, ein klein bisschen? Möchtest Du Dich nicht endlich erfüllen? Ist es nicht Deine Lebensbestimmung, zur Erfüllung zu gelangen? "Doch. Ist es. Aber ich kann nicht", sagst Du. Jetzt bin ich verwirrt. Kannst Du nicht, weil... ? Weil was eigentlich? Weil eigentlich bist Du ein klar formulierter, korrekter, schöner, sehr schöner, runder, ermutigender Wunsch. Niemand wird mit Deiner Erfüllung geschädigt. Im Gegenteil. "Ich kann nicht, aufgrund deiner Strangulation meiner Erfüllungsbestimmung hin", würgst Du mich an. Ach, ich bin jetzt Schuld, oder was? Depp, denk ich, dann erfüllst Du Dich halt nicht. Um Dich daraufhin gleich wieder in die Arme zu schließen und an mein Herz zu pressen. Ich kann Dich nicht gehen lassen. Du schnappst an meinen Brüsten nach Luft und verwandelst Dich in Blau. Treues Blau. Ja, treu bist Du mir und stets zur Seite und langsam dämmert mir ein Debakel. Ich vertraue Dir nicht. Deinem richtigen Riecher, der Dich zur Erfüllung führen wird. Ich kann Dich mitnichten verabschieden, loslassen, wie es so schön heißt. Verabschieden mit einem Klaps auf Deinen runden Hintern und in die Welt schicken. Dir eine gute und glückliche Reise wünschen. WünschWünsch. Ich halte Dich, rapunzelig, in einer kleinen Turmkammer. Damit nicht genug. Ein verwirrender Wald umwuchert Dein Türmchen auf das sich ein jeder auf dem Weg zu Dir verirrt. Ich selbst davon nicht ausgenommen. Um der Sicherheit genüge zu tun, habe ich auch auf eine wunschumzäunende Sicherheitsmauer bestanden. Und die steht jetzt da. Rein kommt keiner und raus sowieso nicht. Oder umgekehrt? Diese Erkenntnis trifft mich irgendwie. Und mit dem Geheimnis der Wünsche hat das auch wenig zu tun. Gar nichts eigentlich. Was soll ich denn jetzt machen? Du kuckst mich an und zuckst die Schultern. Läufst Kreise in Deiner kleinen Turmkammer und singst frei nach Rio Reiser Nacht für Nacht "Ich will hier raus! Ich will hier weg!" Da habe ich mir ein hervorragendes Ei selber gelegt. Und stehe meiner Mauer ratlos gegenüber. Wie komme ich aus der Nummer wieder raus? Du zuckst weiter die Schultern, Dein Lied auf den Lippen, kreislaufend. Kreisläufig bin ich ein Hamster im Rad. Stopp. Unsicher, dennoch entschlossen, stemme ich ein Bein auf den Boden. Stopp. Stoppe überhaupt die ganze Schose. Hilft ja nichts. "Laß mich gehen", flüsterst Du. Dämonisch. "Laß mich gehen." Mir ist überhaupt nicht wohl bei dem Gedanken. Ich werfe Argumente ein. Bringe den dunklen Wald, die dicke Mauer zur Sprache. Weise auf Gefahren und Dickicht, Verletzungsrisiken hin. Du legst nur das Köpfchen schief und schnüffelst in der Luft. Der richtige Riecher wie? Mir ist nicht wohl dabei. Ganz und gar nicht. Ich vertrau Dir nicht. Ich möchte es aber gern. Wat muss, dat muss. Hilft ja nichts. Zefix. Dann geh. Geh halt, aber mach schnell, damit ich es nicht mitbekomme. Geh, ich laß Dich los und laß Dich laufen! Mir ist ganz bang dabei. Gute Reise und erfüll' Dich!

WünschWünsch,

Deine JellyBean

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Großartig!
Großartig!
Bravo!
Diese Wort-Jonglage... unvergleichlich!!!

In großer Bewunderung,
N...ä